SOZIALE PHOBIE / SCHÜCHTERNHEIT

WISSENSWERTES soziale Phobie Schuechternheit Praxis Nina Kroll

Was ist soziale Phobie?

Charakteristisch für Sozialphobiker ist eine massive, irrationale Angst vor dem Kontakt zu Menschen beziehungsweise vor Situationen, in denen sie prüfend beobachtet, kritisch bewertet und negativ beurteilt werden könnten.

Die soziale Phobie wird häufig übersehen – wahrscheinlich, weil ihre Zeichen vorschnell als extreme Schüchternheit abgetan respektive von körperlichen Störungen überlagert werden.

Keine Frage: Für die meisten Menschen sind anstehende Konfrontationen oder Situationen, die als ungewiss eingeschätzt werden, mit Aufregung, Angst oder zumindest Unwohlsein verbunden. Die eigene Existenz wird dadurch aber nicht wirklich gefährdet.

Angst ist ein grundlegendes Gefühl, das bei jedem Menschen genauso auftritt wie Freude, Trauer und Wut. Angst und Unsicherheit gehören zu den alltäglichen Erfahrungen jedes Menschen. Angst kann als positive Herausforderung und mehr noch, als Thrill, erlebt werden – als lustvoll besetztes Stresserlebnis, dem es sich zu stellen gilt.

Bei sozial Ängstlichen dagegen steht und fällt die eigene Existenz mit dem, was Fremde oder Vorgesetzte von einem denken.

Betroffene fürchten zu versagen, sich lächerlich zu machen oder durch ungeschicktes Verhalten gedemütigt zu werden.

Begleiter solcher Befürchtungen sind körperliche Symptome.

Körperlich Symptome treten häufig schon Tage vor oder in phobisch (krankhaft ängstlich) besetzten Situationen auf:

  • Erröten
  • Zittern
  • Herzrasen
  • Schweissnasse Hände
  • Verkrampfungen
  • Sprechhemmungen
  • Druckgefühle im Kopf
  • Kribbeln im Magen
  • Atemnot
  • Panikgefühl

Um all das zu vermeiden, gehen Sozialphobiker Bewertungs- und Leistungssituationen aus dem Weg. Reisen, Feste, Veranstaltungen, Gespräche, Vereinsaktivitäten, berufliche Karriere – nichts geht mehr. Es wird alles versucht, um sich mit der

Furcht zu arrangieren, das tägliche Leben nicht (länger) ertragen zu können. In Extremfällen findet Freizeit in den eigenen vier Wänden statt. Freund- und Partnerschaften sind quasi unmöglich, Arbeitsprozesse vollziehen sich übermässig fleissig, still und angepasst.

Da das Krankheitsbild noch nicht so bekannt ist, denken viele, sie würden lediglich an extremer Schüchternheit leiden. Wenn diese Schüchternheit allerdings so weit geht, dass die Betroffenen glauben, sich vor vermeintlichen Bedrohungen mit Vermeidungsstrategien schützen zu müssen, sollten sie sich professioneller Hilfe nicht verschliessen.

Die Chancen, neues Selbstvertrauen zu gewinnen und wieder am Leben teilzuhaben, stehen gut.

Ursache

Wer die soziale Phobie verstehen will, muss die engen biologischen, psychologischen und biografischen Verflechtungen entwirren. Wie so oft entsteht das Gewirr auch in diesem Fall in der Kindheit.

Psychologen warnen davor, seelische Probleme bei Kindern und Jugendlichen leichtfertig auf die Entwicklung und Pubertät zurückzuführen und nicht ernst zu nehmen. So können folgende Faktoren früh wichtige Hirnareale verändern:

  • Überbehütete Kindheit
  • An liebevoller Zuwendung, Wertschätzung und Unterstützung mangelnde Erziehung
  • Traumatische Erfahrungen (körperliche, psychische Misshandlungen)
  • Erziehungsstil, der selbstsicheres und unabhängiges Verhalten wenig fördert
  • Eltern, die Sozialkontakte mit anderen Familien wenig unterstützten, die übermässigen Wert auf die Meinung anderer legten und eher Scham als Disziplinierungsmethode einsetzen
  • In der Erziehung (Eltern, Kindergarten, Schule) erzeugte Schuldgefühle als Disziplinierungsmethode bei Abweichungen von allgemein gültigen Normen

Die entstehenden biologischen Narben prägen die Persönlichkeit. Experten sprechen von erhöhter Angstbereitschaft beziehungsweise Vulnerabilität (Verletzlichkeit) gegenüber sozialen Situationen, die als bedrohlich erlebt werden. Die Anfälligkeit allein führt aber nicht zwingend in die Erkrankung.

Für Menschen ist es extrem wichtig, in eine soziale Gemeinschaft integriert zu sein und dabei auch ein gewisses Mass an sozialer Kontrolle ausüben zu können. Zu Angst und Unterwürfigkeit kommt es besonders dann, wenn Stresssituationen, zum Beispiel belastende Lebensbedingungen oder schmerzliche Ereignisse, als unkontrollierbar erlebt werden. Man spricht deshalb vom Vulnerabilitäts-Stress-Modell. Dieses Modell integriert verschiedene derzeit gültige Erklärungsmodelle, die bei jeder Angststörung wichtig sind.

Vermeidung hilft nur scheinbar

Ein Teufelskreis spielt sich ein, wenn die gesamte Aufmerksamkeit auf die Angst erzeugenden Umstände gerichtet ist und die Spannung aufgrund der ängstlichen Erwartung steigt. Sozialphobiker zeigen bereits in Erwartung einer Situation starke Angst – also schon, wenn der Termin für eine Rede festgelegt wird oder auf dem Weg ins Restaurant.

Der Körper unterscheidet dabei nicht, ob es sich um eine wirklich existierende Gefahr handelt oder um Erwartungsangst. Er aktiviert das Alarmprogramm bereits beim blossen Gedanken an die Situation.

Nach Ansicht des amerikanischen Professors für Psychiatrie, Aaron T. Beck, einem der Pioniere auf dem Gebiet der kognitiven Verhaltenstherapie und Depression, entstehen Sozialphobien bei Menschen, die sich übermässig mit sich selbst beschäftigen.

Aus Angst vor Misserfolg in sozialen Situationen und vor daraus resultierender Kritik werden potenzielle Gefahren übermässig beachtet und dadurch überbewertet. Abnehmendes Selbstvertrauen und verzerrte Selbstbewertung führen schliesslich in ein Vermeidungsverhalten. Dieses reduziert kurzfristig die Angst. Langfristig wird sie jedoch durch fehlenden andersartige Erfahrungen aufrecht erhalten.

Bei starker Selbstunsicherheit treten zahlreiche negative und abwertende Gedanken über die eigene Person automatisch auf.

Symptome

Eine Sozialphobie äussert sich auf verschiedene Weise. Für Aussenstehende sind die Symptome trotzdem kaum als solche zu erkennen, da ihre «Tarnung» ein wesentlicher Aspekt des Leidens ist.

Rückzug oder Perfektionismus als Strategie:

Die unbewusst ständig präsente Frage «Was denkt der andere über mich?» führt zum inneren Druck, vermeintlich hohe Ansprüche erfüllen zu wollen. Das gilt besonders bei Kontakten und Gesprächen mit Fremden, Autoritätspersonen oder mit Leuten, von denen man annimmt, sie seien etwas Besonderes oder Besseres. Ein Druck, den andere nicht unbedingt spüren müssen, da die Betroffenen sich tarnen, um keine Angriffsflächen für Kritik zu bieten.

Nach dem Motto «Nur nicht auffallen» betreiben die einen Graue-Maus-Politik: sitzen «in der letzten Reihe», lehnen Verantwortung ab, sind introvertiert, angepasst, fleissig, arbeiten und leben zurückgezogen.

Andere erheben Perfektionismus zur Strategie: beherrschen die sozialen Spielregeln, können kommunizieren, sich auf andere einstellen, wirken kontaktfreudig und sind beruflich erfolgreich. Die Fassade ist perfekt, doch die Angst spielt immer mit. Die Angst wovor?

Gedanken, Gefühle, Glauben

Der Kernaspekt besteht in der Angst vor seelischer Verletzung durch andere. Der Zwang zur positiven Selbstdarstellung – und der Zweifel, es zu schaffen – führt Sozialphobiker zur Überzeugung, dass die sie ängstigenden Situationen in Peinlichkeit, Zurückweisung, Demütigung, Konflikten und Statusverlust enden müssen.
  • Blickkontakte
  • inkompetent, dumm und tollpatschig zu wirken
  • nicht gemocht, für sonderbar gehalten zu werden
  • Unsinn zu reden, nichts Interessantes zu sagen zu haben; zu viel und zu lange zu reden
  • dass andere die eingebildeten oder tatsächlichen Schwächen entdecken könnten
  • dass andere genauso minderwertig über sie denken könnten wie sie über sich selbst
  • den eigenen Standards nicht zu genügen (Sozialphobiker sind sich oft selbst die schärfsten Kritiker)
  • die eigenen körperlichen Reaktionen («Ich zittere, also bin ich unfähig»)

Nicht wenige Sozialphobiker versuchen auch, ihre Ängste durch Ausreden zu verschleiern, z.B. «Ich finde Partys öde», «Ich mag die Leute nicht», «Ich versinke in Arbeit».

Physiologische Veränderungen / körperliche Reaktionen

  • Erröten
  • Herzrasen
  • trockener Mund
  • Schwitzen
  • Zittern
  • angespannte Muskulatur
  • Muskelzucken (meist im Gesicht)
  • Stammeln beim Sprechen
  • beklemmende Gefühle in der Brust
  • Erstarren
  • Blackouts
  • Schwierigkeiten, einem Gespräch zu folgen
  • schneller Atem oder das Gefühl, keine Luft zu bekommen
  • Harndrang
  • Übelkeit
  • Schwindel, Ohnmachtsgefühle, Hitze-, Kälteempfindungen

… treten häufig schon Tage vor bedrohlichen Situationen auf. Die Symptomatik kann sich derart steigern, dass sie den Charakter von Panikattacken annimmt.

Therapie

Soziale Phobien lassen sich gut behandeln.

Ein zentraler Aspekt der Behandlung von Ängsten ist die umfassende Aufklärung über das Störungsbild sowie über den Ablauf und die Struktur der Therapie.

Entsprechend beginnt sie mit ausführlichen Gesprächen mit dem Therapeuten, damit Sie Ihre Angststörung zunächst verstehen lernen – damit es möglich wird, den Hintergrund der Angst wahrzunehmen. Erst wenn die entscheidenden Zusammenhänge verstanden sind, wird man gemeinsam ein adäquates «Therapiepaket» erarbeiten, das auch Ihre Lebensqualität und psychosozialen Behinderungen berücksichtigt.

Es gehört gewissermassen zum Standard, sozial Ängstliche in der Gruppe zu therapieren. Für eine Gruppentherapie gibt es mehrere interessante Gründe, z.B., dass sich die Betroffenen nicht allein mit ihrer Angst fühlen. Selbstverständlich besteht auch die Möglichkeit zur Einzeltherapie.

Die meisten der modernen Methoden zum Abbau sozialer Ängste haben ihren Ursprung in der Verhaltens- bzw. kognitiven Verhaltenstherapie. Diese hat sich in den 50er-Jahren aus der Verhaltenstherapie entwickelt, ist heute eine der effektivsten und vielseitigsten Therapieformen der modernen Psychotherapie und nimmt folglich einen zentralen Platz in der Gesundheitsversorgung ein.

Die kognitive Verhaltenstherapie taugt für unterschiedlichste Indikationen und ist nach wissenschaftlichen Standards auf ihre Wirksamkeit überprüft. Sie umfasst sowohl kognitive (betrifft Einstellungen, Gedanken, Selbstgespräche, bildhafte Vorstellungen, Interpretationen) als auch verhaltensbezogene Techniken. Grundannahme ist, dass Gefühle und Verhaltensweisen ein direkter Ausdruck von Gedanken sind. Daher wird daran gearbeitet, irrationale, ungesunde und problematische Denkweisen, die mit psychischen Problemen einhergehen, zu verändern.

Bei der sozialen Phobie wird ein psychotherapeutisches Behandlungsprogramm eingesetzt, das in mehreren aufeinander folgenden Schritten verläuft:

  • Expositionstherapie (bzw. Konfrontationstherapie)
  • Entspannungstechniken
  • Systematische Desensibilisierung

Selbstsicherheitstraining

Ein zentrales Element der Psychotherapie ist das Training sozialer Kompetenz.

Nicht wenige Sozialphobiker hatten in der Kindheit beziehungsweise Jugend keine Möglichkeiten, sich Fähigkeiten und Verhaltensweisen anzueignen, um sich in Gesellschaft angemessen zu bewegen.

Diese Betroffenen brauchen zu Therapiebeginn zunächst ein spezielles Selbstsicherheits- und Kommunikationstrainings zum Erlernen sozialer Kompetenz und sozialer Fertigkeiten. Soziale Kompetenz bezeichnet das potenzielle Handlungsrepertoire, soziale Fertigkeiten («social skills») die Umsetzung in konkrete Verhaltensweisen.

Sich in seinen Schwächen und (verdeckten) Stärken selbst zu erkennen, ist eine wesentliche Bedingung dafür, sich seiner selbst bewusst zu werden.

Kognitive Umstrukturierung

Mithilfe spezieller Übungen werden kognitive Muster überprüft und verändert.

Eine verzerrte Selbstwahrnehmung – also auf sich selbst bezogene, negative Gedanken, Abwertung eigener Leistungen, Angst vor Abwertung durch andere Personen, das «Vorab-Katastrophisieren» sozialer Situationen – hat nach Ansicht vieler Experten einen wichtigen Stellenwert bei der Aufrechterhaltung der eigenen Unsicherheit. Diese regelrecht automatisch stattfindende Selbstentwertung hat wiederum mit der Informationsverarbeitung im Gehirn zu tun.

Mithilfe spezieller Konfrontationsübungen, von Rollenspielen sowie Hausaufgaben werden diese kognitiven Muster überprüft und verändert. Die Patienten lernen, dass sie bisher ihren ängstlichen Phantasien mehr Gewicht beimessen als der Realität. Durch diesen Lernprozess und die damit verbundene Verhaltensänderung wird letztlich das Selbstbild verbessert. Die Techniken und Schwerpunkte sind unterschiedlich.

Zehn Regeln zum Umgang mit der Angst

Für der Umgang mit Angstsituationen haben sich einige Merksätze bewährt. Diese zehn Regeln lassen sich jederzeit und unabhängig vom Behandlungsverfahren anwenden.

In allen Bereichen unseres Lebens heisst der erfolgreichste Weg zum Erlernen von Neuem: Wir müssen uns der Situation aussetzen. Das gilt auch für die Bewältigung der Angst. Diese Regeln sollen daran erinnern: Sie müssen wiederholt die Erfahrung machen, dass die Angst nicht zur Katastrophe wird.

  1. Angstgefühle und dabei auftretende körperliche Symptome sind verstärkte normale Stressreaktionen.
  2. Angstreaktionen sind nicht schädlich für die Gesundheit.
  3. Verstärken Sie Angstreaktionen nicht durch Furcht erregende Fantasievorstellungen.
  4. Bleiben Sie in der Realität, beobachten und beschreiben Sie innerlich, was um Sie herum wirklich geschieht.
  5. Bleiben Sie in der Situation, bis die Angst vorüber ist.
  6. Beobachten Sie, wie die Angst von allein wieder abnimmt.
  7. Vermeiden Sie keine Angstsituationen!
  8. Setzen Sie sich allen Situationen aus, die Ihnen Angst machen.
  9. Seien Sie stolz auf kleine Erfolge – auch auf die ganz kleinen!
  10. Nehmen Sie sich in Angstsituationen Zeit.

Sie werden die Erfahrung machen, dass Ihr Selbstwertgefühl steigt, wenn Sie in dieser Weise gegen die Angst anarbeiten.